Gestatten, dass ich sitzen bleibe: Mein Leben (German Edition) by Reiter Udo
Autor:Reiter, Udo [Reiter, Udo]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Aufbau Verlag GmbH & Co. KG
veröffentlicht: 2013-02-13T23:00:00+00:00
Ein dreifaches Dilemma
Für meine Freunde und Kollegen an dieser Stelle eine Warnung: Überschlagt das kommende Kapitel lieber. Es sind die alten Geschichten, die ich schon so oft erzählt habe wie mein Großvater seine Erlebnisse aus dem Ersten Weltkrieg. Ihr kennt diese Geschichten auswendig, aber sie gehören nun einmal zu meinem Leben und dürfen hier nicht fehlen. Natürlich kann man fragen, und ich stelle mir diese Frage selbst gelegentlich, ob das alles wirklich genau so war, wie ich es heute erzähle, oder ob die Geschichten von Jahr zu Jahr dramatischer und schöner werden. Ich kann das nicht mit letzter Entschiedenheit ausschließen. Bei meinem Großvater hatte ich auch manchmal den Verdacht. Aber tendenziell, das schwöre ich, ist es genau so gewesen.
In den Tagen nach der erfolgreichen Wahl ging mir langsam auf, was da auf mich zukam. Es war Juli 1991, und im Staatsvertrag stand, dass der MDR am 1. Januar 1992 mit sechs Hörfunkprogrammen, einem Fernsehprogramm und 12 Prozent Anteil am ARD-Programm auf Sendung gehen sollte. Also in einem knappen halben Jahr. Das Dilemma hatte drei Seiten. Zum einen die Infrastruktur: Es gab keine. Zwar hatten sich in den drei Ländern seit 1989 kleine regionale Radiosender gebildet, neben dem Sachsen-Radio in Leipzig, Radio Sachsen-Anhalt in Halle und Radio Thüringen in Erfurt, aber das war es dann schon. Vor allem Studios und eine Senderegie für das Fernsehen gab es nicht. Auch keine Hörfunkzentrale. Zum zweiten die Finanzen: Der Sender hatte nicht einmal ein Konto, und ich hatte keine Vorstellung, woher Geld kommen sollte und in welcher Höhe. Und drittens das Personal: Ich war ein knappes halbes Jahr vor Sendebeginn der einzige Angestellte. Größere Einheiten, beispielsweise die Mitarbeiter der regionalen Hörfunksender oder Teile des alten DDR-Rundfunks, durfte ich nicht einstellen. Das wäre ein Betriebsübergang gewesen und hätte zur Folge gehabt, dass ich sämtliche siebentausend Mitarbeiter des Deutschen Fernsehfunkes hätte übernehmen müssen.
Als ich mit meinen Kollegen in München die Sache besprach, war ihr Urteil eindeutig: Der Sendebeginn muss verschoben werden, mindestens um ein halbes, am besten um ein ganzes Jahr. »Eine neue Fernsehsendestraße«, sagte mir Wolf Feller, der als TV-Direktor etwas von der Sache verstand, »braucht schon ein halbes Jahr Probebetrieb, bevor du damit auf Sendung gehen kannst, und du hast sie nicht einmal, du musst sie erst noch bauen.« Das leuchtete mir alles ein, aber sollte meine erste Amtshandlung eine Kapitulation sein? Ich wollte es allen fachmännischen Ratschlägen zum Trotz zumindest probieren. Damals habe ich mich in München gelegentlich mit Gunter Sachs getroffen, meist im »Käfer«, seiner Lieblingskneipe. Ich hatte ihn bei Thomas Gottschalk kennengelernt und war von seiner Bildung, seinem Kunstsachverstand und der unaufdringlichen Art, in der er mit seinem Reichtum und seiner Prominenz umging, beeindruckt. Als ich Sachs von meinen Schwierigkeiten erzählte, klopfte er mir auf die Schulter und meinte lachend: »Du machst das schon. Cowboy, roll east!« Er hat mich später in Leipzig besucht und das MDR-Gelände besichtigt. »Na also«, war sein Kommentar. 2008 hat er im Leipziger Bildermuseum unter dem Titel »Die Kunst ist weiblich …« eine große Ausstellung mit Bildern, Fotografien und Objekten aus seinem Leben veranstaltet.
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